Die italienische Schriftstellerin Donatella Di Pietrantonio beleuchtet in ihren Prosawerken Beziehungen in Familien, vor allem schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen, wie in Meine Mutter ist ein Fluss (2013), Arminuta (2018) und Borgo Sud (2021). Auch im Roman Bella mia (2016) wird eine belastete Familienbeziehung geschildert, nämlich jene von Caterina zu ihrem Neffen Marco, der seine Mutter beim schweren Erdbeben in Aquila (2009) verliert. Marco lässt nach dem Verlust der Mutter niemanden an sich heran. Mit Mühe und Not gelingt es Caterina, dennoch eine Beziehung zu ihm aufzubauen, die ihre alte Mutter einschliesst. Zu dritt schaffen sie es, sich Trost zu spenden. Sie haben niemanden mehr. Auf die Unmöglichkeit, seiner Herkunftsfamilie zu entkommen, da sie der Ort des Ursprungs sei, hat Di Pietrantonio auch im Rahmen der Solothurner Literaturtage 2021 hingewiesen.
Im Roman Meine Mutter ist ein Fluss wird eine an Demenz erkrankte Mutter von ihrer Tochter betreut und gepflegt. Dieser spannende Rollenwechsel – die einst starke Mutter wird nun ihrerseits pflegebedürftig – spiegelt sich auch in der Erzählstruktur wieder. Die erwachsene Tochter beginnt ihrer dementen Mutter deren eigene Geschichte zu erzählen. Auf diese Weise kommt sie ihr, die nie zwischenmenschliche Wärme zugelassen hat, näher. Das Erzählen ist somit eine Chance für die Tochter, sich mit der ungestillten Sehnsucht nach Nähe und Zärtlichkeit auseinanderzusetzen. Die Erinnerung und die damit verbundene Geschichte ihrer beiden Leben werden zur Brücke – nicht nur zwischen Tochter und Mutter, sondern auch zwischen ErzählerIn und LeserIn. Die Dualität – Gefühle vs. Erinnerung − finden wir bereits im Titel Meine Mutter ist ein Fluss: Der Fluss als Metapher für das Entgleiten der Gefühle wie auch für die Fluidität des Erinnerns.
Das wiederkehrende Thema in Di Pietrantonios Werken – das Fehlen der Gefühle – wird durch die Sprache verstärkt. Donatella Di Pietrantonio nennt diesbezüglich die Schriftstellerin Agota Kristof als eine wichtige Inspirationsquelle. Der Sprachstil der ungarisch-schweizerischen Schriftstellerin habe sie zu einer knappen und genauen Sprache inspiriert: Sie habe auf ein Element des Satzes so fokussieren wollen, dass es das gesamte Licht auf sich ziehe. Die raue Umgangston der Figuren finden wir in der Art und Weise des Erzählens wieder: intensiv und poetisch.
Bisher erschienen
Wir möchten Frauen und ihrem künstlerischen Werk mehr Präsenz einräumen und ihr Schaffen sichtbarer gestalten. Dabei geht es in erster Linie um ihr Werk, welches in Form eines Porträts auf unserer Webseite beschrieben und interpretiert wird. Ab Januar 2024 hat das bestehende Format «Frauen der Künste» eine Ausweitung auf den Bereich der Wissenschaften erfahren. Den neusten Beitrag zu «Frauen der Künste und der Wissenschaften» präsentieren wir am ersten Freitag des Monats im Newsletter und auf unserer Webseite.