Frauen der Künste 

Dana Grigorcea
Schriftstellerin

Fotos: Mardiana Sani
Fotos: Mardiana Sani

Seit der Halloween-Brauch in den 1990er-Jahren von den USA nach Europa übergeschwappt ist, sind die Geschäftsauslagen im Oktober jeweils voll von gruseligen Accessoires. Prominent vertreten ist dabei stets auch der Vampir, eine unheimliche, aber erotisch aufgeladene Schreckensgestalt.

Ebendiese steht auch im Zentrum des neusten Romans der rumänisch-schweizerischen Schriftstellerin Dana Grigorcea. In Die nicht sterben (2021) beleuchtet sie den Vampir- bzw. Dracula-Mythos aus vielerlei Perspektiven. Sie zeichnet den kulturellen Aneignungsprozess durch den irischen Schriftsteller Bram Stoker, der Ende des 19. Jahrhunderts die Figur des Dracula erfand, ebenso nach wie die Lebensgeschichte des rumänischen Fürsten Vlad III, auf den sich Stoker als historisches Vorbild seiner Figur bezog.

Wichtiger noch sind die Nachwirkungen sowohl des fiktionalen wie des historischen Dracula in der postkommunistischen Gegenwart Rumäniens. Eine Rückkehr des finsteren «Wiedergängers» wird im Dorf B., wo Grigorceas Romanhandlung spielt, nämlich von einigen regelrecht herbeigesehnt – sei es als Aushängeschild für billigen Vampirtourismus, welcher der ländlichen Region in der Walachei zum Aufschwung verhelfen soll, oder in Form eines strengen Machthabers, der mit harter Hand endlich Ordnung schafft. Die Sehnsucht nach Autorität und die zunehmende Radikalisierung, so machte die Autorin in Interviews deutlich, ist ein aktuelles und globales Phänomen. Dementsprechend beziehen sich Fragen nach der Eigenverantwortung und der Schuld der Mitläufer angesichts des Bösen, welche im Roman fast beiläufig aufgeworfen werden, nicht nur auf das Herkunftsland der Autorin, sondern auf die menschliche Natur im Allgemeinen. Die auffällig häufigen Spiegelmetaphern im Roman sind als Aufruf zur Selbsterkenntnis interpretierbar.

Obwohl die Ich-Erzählerin ihre Geschichte als eine «Warnung» bezeichnet, ist Die nicht sterben weit davon entfernt, ein moralistisches Mahnwerk oder auch nur eine realistische, linear erzählte Geschichte zu sein. Vielmehr macht die mäandernde Erzählweise und das augenzwinkernde Spiel mit der Leserschaft, welches die Ich-Erzählerin betreibt, diesen anspielungsreichen, mit satirischen und parodistischen Elementen angereicherten Roman zu einem anspruchsvollen und fulminanten Lesevergnügen.

In Rezensionen immer wieder hervorgehoben wird die Fabulierlust und die «funkelnde Sprache» der Autorin. Dass Dana Grigorcea ein Faible für Sprachen besitzt, zeigt sich bereits in der Wahl ihrer Studienfächer. Die 1979 in Bukarest geborene Autorin studierte Deutsche und Niederländische Philologie und absolvierte später einen Masterstudiengang in Qualitätsjournalismus. Seit 2003 verfasst sie ihre literarischen Texte ausschliesslich in deutscher Sprache.
Neben der Sprache gilt die grosse Liebe Dana Grigorceas der Kunst, der sie eine subversive, aber auch erlösende Kraft attestiert. Macht uns die Kunst zu besseren Menschen?, lautet der Untertitel ihres Essay-Bandes Über Empathie. In ihren Romanen finden sich zahlreiche Anspielungen und Verweise auf Kunstwerke, seien es Gemälde, Opern oder intertextuelle Verweise auf literarische Werke – am augenfälligsten ist jener auf Anton Tschechow im Titel ihrer Novelle Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen. Diese in Zürich angesiedelte Geschichte handelt von einem ungleichen Liebespaar: Anna ist eine extravagante Primaballerina, die mit ihrem Ehemann in einer Villa am Zürichberg lebt, Gürkan ein um einige Jahre jüngerer, kurdischer Landschaftsgärtner, ebenfalls verheiratet und Vater dreier Kinder. Fast unwillkürlich finden die beiden am Zürichsee zusammen, verbringen gemeinsame, frühlingshelle Nachmittage in der Limmatstadt. Anna sonnt sich in der Bewunderung des schüchternen jungen Mannes, inszeniert sich mit Lust, als ob sie auch abseits des Rampenlichts ständig auf der Bühne stünde, während Gürkan immer wieder Gewissensbisse plagen. Das absehbare Ende der Affäre scheint für Anna zwar zunächst gerade ihren Reiz auszumachen, als es jedoch eintritt, kann sie ihren Liebhaber nicht vergessen und nimmt wieder Kontakt zu ihm auf. Als Gürkan sie am Ende aber fragt, ob sie ihr Leben mit ihm teilen will, hat Anna keine Antwort darauf. «Lag ihr Glück nicht einzig in der flüchtigen Ahnung davon?» Diese Frage bleibt auch für die LeserInnen offen.

Neben drei Romanen und einer Novelle hat Dana Grigorcea bisher auch fünf Bilderbücher für Kinder in Zusammenarbeit mit verschiedenen IllustratorInnen verfasst. Neben ihrer schriftstellerischen Arbeit war und ist die Autorin auch journalistisch tätig: Sie arbeitete beim Kurier in Wien, der Deutschen Welle, dem Fernsehsender ARTE und als Korrespondentin für das rumänische Fernsehen und Radio. Heute verfasst sie gelegentlich noch Reportagen und Essays sowie Kolumnen für das Magazin des Opernhauses Zürich oder die Deutsche Welle. Dana Grigorcea engagiert sich auch zivilgesellschaftlich, etwa gegen die Korruption in Rumänien, für Medienfreiheit und für ein starkes demokratisches Europa.

Bisher erschienen:

  • Baba Rada. Das Leben ist vergänglich wie die Kopfhaare, 2011, Dörlemann, Zürich
  • Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit, 2015, Dörlemann, Zürich
  • Mond aus!, 2016, Baeschlin, Glarus
  • Die Dame mit dem maghrebinischen Hündchen, 2018, Dörlemann, Zürich
  • Der Nase nach. Duftbilderbuch, 2018, Baeschlin, Glarus
  • Einmal Haare schneiden bitte, 2018, Baeschlin, Glarus
  • Über Empathie. Macht uns die Kunst zu besseren Menschen?, 2019, Telegramme Verlag, Zürich
  • Die Namen der Blumen, 2019, Baeschlin, Glarus
  • Die nicht sterben, 2021, Penguin, München
  • Marius. Ein Storch fliegt nach Afrika, 2021, Baeschlin, Glarus

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Wir möchten Frauen und ihrem künstlerischen Werk mehr Präsenz einräumen und ihr Schaffen sichtbarer gestalten. Dabei geht es in erster Linie um ihr Werk, welches in Form eines Porträts auf unserer Webseite beschrieben und interpretiert wird. Ab Januar 2024 hat das bestehende Format «Frauen der Künste» eine Ausweitung auf den Bereich der Wissenschaften erfahren. Den neusten Beitrag zu «Frauen der Künste und der Wissenschaften» präsentieren wir am ersten Freitag des Monats im Newsletter und auf unserer Webseite.

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