«flowery wordis» heisst das Bühnenprogramm der selbstständigen Autorin und Spoken-Word-Künstlerin Olivia El Sayed. In ihrem Programm erzählt sie die Geschichte ihrer Eltern, die sich in einer Zeit kennenlernten, in der es nicht normal war, dass eine Schweizerin einen Ägypter heiratet. Ihr Vater Mohamed, der als Saisonnier in die Schweiz kam, und ihre Mutter Maja, eine Primarlehrerin aus Pfungen, lernten sich 1981 im Mövenpick Hotel am Flughafen Zürich kennen. Das Wort «flowery wordis» stammt von Mohamed, der sein Sprachgewirr aus Deutsch, Englisch und Arabisch (das manchmal nur er verstand) so benannt hatte.
Doch nicht nur die Sprache war eine Schwierigkeit im Alltag ihrer Familie. Mit viel Humor und Herz erzählt Olivia El Sayed vom Zusammenleben, das bedingt durch die kulturellen Unterschiede nicht immer leicht war. Täglich prallten unterschiedliche Auffassungen von Lebensführung, Religionen und Werten aufeinander. Sie erzählt auch davon, dass sie sich nicht als halbe Ägypterin fühlt, da sie die arabische Sprache nicht beherrscht und vergeblich versucht hat, es zu lernen. «Die Sprache öffnet das Verständnis zur Kultur», meint El Sayed. Und da sie kein Arabisch spricht, lernt sie die Welt ihres Vaters nie wirklich kennen. Keine ihrer Freundinnen hat so einen Vater, fiel Olivia al Sayed als Jugendliche auf. Die Frage, woher einerseits seine Erwartungshaltung und andererseits sein Zuneigungsbedürfnis herrührten, begleitet sie bis heute. Dabei war seine Telefonregel besonders wichtig: Die Tochter ruft den Vater an und nie umgekehrt. Und das jeden zweiten Tag. «Mein Vater machte nie ein Geheimnis daraus, wie sehr er mich liebte, aber auch nie eines daraus, wie sehr er auf meine Liebe angewiesen war. (…) Die Väter meiner Freundinnen sagten am Telefon: «Schau du für dich, mein Engel, ich komm hier allein klar.» Meiner sagte: «If you don’t come now, maybe I will just die from loneliness.»
Diese unverblümte Art ihres Vaters, der Tochter sein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit mitzuteilen, nimmt der jungen Olivia El Sayed die Freiheit, die sie als Jugendliche gerne ausgelebt hätte. Mit ihrem Vater darüber zu reden, kam dabei nicht in Frage. Lieber diskutierte sie in ihrem Kopf mit ihm und stellte sich seine Antworten vor, anstatt ihm persönlich ihre Fragen zu stellen.
«Ich erinnere mich noch, als eine Zeit lang überall in meiner Bubble Barbara Bleischs Buch aufploppte: Warum wir unseren Eltern nichts schulden. Die Vorstellung, meinem Vater gegenüber nur schon diesen Titel zu erwähnen, sorgte für eine Explosion in meinem Kopf. Nicht in 100 Jahren wäre das etwas gewesen, was er unterschrieben hätte.»
Olivia Al Sayeds Vater fühlte sich wohl in der Schweiz und war froh, die Möglichkeit zu haben, hier zu leben. Und doch war er dem Anschein nach nie richtig in der Schweiz heimisch geworden. Auch wenn sich Mohamed und Maja nach sieben Jahren trennten, riss der Kontakt zu ihm nie ab. Der Vater blieb wie ein ständiger Summton im Hinterkopf seiner Tochter.
Olivia El Sayeds Geschichten sind ein Einblick in ein zunächst fremdes Leben: witzig, unvorhersehbar und teilweise traurig. Mit dem Bühnenprogramm «flowery wordis» ist sie das erste Mal auf Tour.
Bild Einstieg: Mirjam Kluka
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