Nach ihren Aufführungen warfen die ZuschauerInnen Blumen auf die Bühne, sie wurde mit Gedichten und Geschenken überhäuft und im norditalienischen Badia Polesine sogar einmal in einer von den Nobelherren der Stadt gezogenen Kutsche zurück ins Hotel gebracht – die Tänzerin Flora Fabbri (1822–1880) wurde zu ihrer Glanzzeit wie ein Popstar gefeiert. Im 19. Jahrhundert, der Zeit des romantischen Balletts, zählte Flora Fabbri zur höchsten Liga der Primaballerinas.
Geboren in Genua, wurde Flora Fabbri von ihrem Vater, einem Choreographen, bereits mit knapp fünf Jahren in den Ballettunterricht geschickt. Wenig später kam sie an die königlich-kaiserliche Ballettakademie in Mailand, deren Leiter Carlos Blasis sie bald zu seinen vielversprechendsten Elevinnen, den sogenannten «Plejaden der Terpsichore» (Sie-bengestirn der Muse des Tanzes), zählte.
Bereits im Alter von 17 Jahren lernte Flora Fabbri ihren
langjährigen Tanzpartner und späteren Ehemann, den französischen Tänzer Louis
Bretin, kennen. Bretin war es auch, der ihr zum Sprung an die Opéra nach Paris
verhalf, dem damaligen Zentrum des romantischen Balletts in Europa. An der Pariser
Opéra erhielt Flora Fabbri zwar mehrfach Verträge für Engagements, jedoch wurde
ihr trotz ihres unbestreitbaren Talents nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die
sie verdient hätte. Insbesondere blieb ihr die Möglichkeit verwehrt, an einer
Uraufführung die Hauptrolle zu übernehmen, wodurch ihr Name für die Ewigkeit
mit einem Stück verknüpft geblieben wäre.
1851 verabschiedete sich Flora Fabbri endgültig von der Opéra. Als freiberufliche Tänzerin feierte sie Erfolge an verschiedenen europäischen Bühnen, u.a. in Deutschland, Spanien und England. Im Alter von 36 Jahren zog sich die Ballerina von der Bühne zurück. Viel ist nicht bekannt über ihr späteres Leben – sie verkehrte nach wie vor in Künstler-kreisen, engagierte sich karitativ und starb, mit 58 Jahren verhältnismässig jung, in Paris.
Heute ist Flora Fabbri selbst innerhalb der Ballettszene kaum mehr bekannt, im Gegensatz zu Tänzerinnen wie Marie Taglioni, Fanny Elssler oder Carlotta Grisi, die wie Flora Fabbri das romantische Ballett geprägt haben. Die im April 2022 erschienene Biografie «Flora Fabbri, eine Kämpferin trägt Tüll» will Fabbri aus der Vergessenheit holen. Ihr Autor, der Schweizer Thierry Jaquemet, ist selbst Balletttänzer – aktuell ist er als Halbsolist in Pilsen engagiert. Aufgrund fehlender Aufzeichnungen privater Natur kann das Buch lediglich das Bild der Tänzerin in der zeitgenössischen Presse wiedergeben, aber keinen profunden Eindruck der Persönlichkeit Flora Fabbris vermitteln. Jaquemet vermutet, dass Flora Fabbri trotz ihres Erfolgs eine bodenständige, hart arbeitende und im Privaten zurückhaltende Frau war – ein Hinweis darauf ist das Fehlen öffentlicher Skandale um die Ballerina, was angesichts der kompetitiven Atmosphäre an den Theaterhäusern und der verbreiteten Mätressenwirtschaft hinter der Bühne bemerkenswert ist.
Insgesamt entsteht bei der Lektüre der Biografie das Bild einer starken, gut vernetzten und selbstbestimmten Frau, die ihre Karriere in die eigene Hand nahm, in ihrer Kunst brillierte und durchaus mehr Beachtung verdient hätte.
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Wir möchten Frauen und ihrem künstlerischen Werk mehr Präsenz einräumen und ihr Schaffen sichtbarer gestalten. Dabei geht es in erster Linie um ihr Werk, welches in Form eines Porträts auf unserer Webseite beschrieben und interpretiert wird. Ab Januar 2024 hat das bestehende Format «Frauen der Künste» eine Ausweitung auf den Bereich der Wissenschaften erfahren. Den neusten Beitrag zu «Frauen der Künste und der Wissenschaften» präsentieren wir am ersten Freitag des Monats im Newsletter und auf unserer Webseite.